Ist die Geldmaschine wichtiger als die Patienten


Ist die Geldmaschine wichtiger als die Patienten

Die nicht repräsentative – aber doch breite und tiefe, Befragung – zum Kostendruck in den Kliniken in Deutschland hat einige nachdenkliche Punkte thematisiert. Wie steht es um die Geldmaschine versus Patienten und deren Steuerung?
Wird zugunsten des Kostendrucks eine Gefährung der Patienten in Kauf genommen?
Wird die Behandlungsart und Behandlungsweise zugunsten besseren Vergütungsansätzen gesteuert?
Wie steht es um die Kontrollmechanismen?

Kostendruck in Kliniken der Arzt, die Geldmaschine

Der Mediziner Karl-Heinz Wehkamp hat Klinikärzte befragt, wie wirtschaftliche Interessen die Behandlung der Patienten beeinflussen. Sein Fazit: „Eine Gefährdung der Patienten wird in Kauf genommen.“

SPIEGEL ONLINE: Herr Wehkamp, wenn ich mich krank fühle und in eine Klinik gehe, erwarte ich, dass es ausschließlich um meine Gesundheit geht. Sie haben Interviews mit vielen Ärzten geführt und stellen fest, dass wirtschaftliche Interessen eine erschreckend große Rolle spielen. Woran machen Sie das fest?

Wehkamp: Vor allem an den Aussagen der behandelnden Ärzte selbst, die wir für unsere Studie interviewt haben. Demnach werden Untersuchungen gemacht, die aus medizinischer Sicht nicht unbedingt notwendig sind. Vor allem die Gerätemedizin bringt den Kliniken oft Geld: Die Apparaturen für einen Herzkatheter zum Beispiel sind erst einmal eine hohe Investition, aus ökonomischer Sicht sollten sie dann auch ausgelastet sein. Nichttechnische Leistungen hingegen, die nur gering vergütet werden, werden eingeschränkt. Das heißt in der Praxis oft: Anamnesen, klinische Untersuchungen und Arzt-Patienten-Gespräche werden so kurz wie möglich gehalten. Wir haben von Ärzten sogar gehört, dass einige komplexe Eingriffe oft vermieden werden, weil die Aufklärungsgespräche dafür zu lange dauern.

Die Studie: Karl-Heinz Wehkamp hat gemeinsam mit dem Gesundheitsökonomen Heinz Naegler mehr als 30 Krankenhausärzte und 30 Geschäftsführer in zwölf Bundesländern in ausführlichen, sogenannten qualitativen Interviews befragt. Die Interviewten arbeiteten in großen und kleinen Häusern verschiedener Träger. Die Erhebung fand in zwei Wellen in der Zeit von 2013 bis 2016 statt.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt also auch zu wenig Therapie?

Wehkamp: Richtig. Das fängt damit an, dass die gesprächsintensive Arzt-Patienten-Beziehung vernachlässigt wird. Eine der Ursachen ist natürlich der Zeitdruck durch die dünne Personaldecke – auch hier wirkt also die Ökonomie indirekt. Das geht so weit, dass vereinzelt Ärzte Patienten Informationen vorenthalten. Etwa darüber, dass die hochtechnologische Ausstattung für bestimmte Krebstherapien in einer anderen Klinik vorhanden ist, in der eigenen Klinik aber fehlt.

SPIEGEL ONLINE: Beeinflusst die Krankheit auch, ob man überhaupt aufgenommen wird?

Wehkamp: Ja, die Gefahr der Über- und Untertherapie zieht sich durch den gesamten Behandlungszyklus von der stationären Aufnahme über die Behandlung bis zur Entlassung. Nahezu alle befragten Ärzte berichten von dem auf ihnen lastenden Druck, bei allen Maßnahmen an die Optimierung der Fallpauschalen zu denken. Nicht selten würden Untersuchungen angesetzt, die für das Behandlungsziel keine Bedeutung haben, aber den wirtschaftlichen Ertrag steigern.

SPIEGEL ONLINE: Wie weit gehen die Ärzte noch?

Wehkamp: Die meisten kennen die eher harmlosen Tricks, die von ihnen verlangt werden, um mehr abrechnen zu können, ohne dass der Patient Schaden nimmt. Das wird mittlerweile in der Breite praktiziert. Wenn aber das Patientenwohl erheblich aufs Spiel gesetzt würde, machen das die Ärzte normalerweise nicht mit. Einer hat es im Gespräch so ausgedrückt: „Es ist nicht eigentlich kriminell, was wir machen, wir gefährden den Patienten ja nicht groß, aber manchmal geht man auch zu weit.“

SPIEGEL ONLINE: Aber jeder noch so kleine Eingriff hat Risiken.

Wehkamp: Richtig, und da wird eine Gefährdung der Patienten durchaus in Kauf genommen. Ein Beispiel ist, dass Patienten mitunter aus Abrechnungsgründen einen Tag länger als nötig beatmet werden. Ein anderer Arzt hat erzählt, dass er auf Geheiß seines Chefs über andere Stationen geht und aktiv nach Patienten sucht, bei denen eine Herzkatheteruntersuchung vertretbar wäre. Bei so einem Eingriff kann es zu folgenschweren Herzrhythmusstörungen kommen. Am Ende ist es ein Kompromiss zwischen dem Wohl der Patienten und dem Druck der Wirtschaftlichkeit.

SPIEGEL ONLINE: Was sagen die Geschäftsführer dazu?

Wehkamp: Sie wissen oft nicht wirklich, was an der Behandlungsfront passiert. Viele wollen es auch nicht so genau wissen, stehen sie doch selbst unter Druck, dem Träger des Krankenhauses gegenüber gute wirtschaftliche Ergebnisse liefern zu müssen. Ähnlich wie ein Fußballtrainer sitzen sie auf dem Schleudersitz: Stimmen die Ergebnisse nicht, fliegen sie raus. Sie geben den Druck natürlich weiter an die Chefärzte oder direkt über das Controlling – und die wiederum reichen ihn an die Oberärzte, Fachärzte und Assistenten weiter.

SPIEGEL ONLINE: Müssen sich Assistenzärzte tatsächlich rechtfertigen für die Erlöse einer ganzen Abteilung?

Wehkamp: Das nicht, das gilt eher für den Chefarzt und seine Oberärzte. Aber die Assistenz- und Fachärzte entscheiden mit über die Aufnahme von Patienten und den Zeitpunkt der Entlassung. Außerdem haben sie Einfluss auf die Codierung der Fälle. Gerade die Assistenzärzte sehen sich dann stark genötigt, die wirtschaftliche Situation der Klinik bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Das bringt für viele Konflikte mit sich, denn laut Berufsordnung der Ärzteschaft soll „die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Patientinnen und Patienten oberstes Gebot“ sein.

SPIEGEL ONLINE: Warum greifen die Kontrollmechanismen nicht?

Wehkamp: Bestimmte Fragen lassen sich mit den vorherrschenden gesundheitsökonomischen Methoden derzeit kaum beantworten. Nehmen wir Hüftgelenksoperationen: Anhand der medizinischen Daten und der Überlebensrate von Patienten kann man zwar einiges über den Erfolg und die Qualität des Eingriffs aussagen. Ob er in den einzelnen Fällen tatsächlich medizinisch notwendig war, kann man nicht sehen. Dazu muss man schon die behandelnden Ärzte fragen, freilich in einem anonymen Setting.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Studie ist nicht repräsentativ, sondern eine Stichprobe aus der Ärzteschaft und von den Geschäftsführern. Inwiefern sind die Ergebnisse überhaupt aussagekräftig?

Wehkamp: Wir betonen an mehreren Stellen, dass unsere Ergebnisse nicht objektiv zutreffende Fakten sind, sondern auf subjektiven Einschätzungen der Befragten beruhen. Diese allerdings haben eine sehr hohen Übereinstimmung, was zumindest nahelegt, dass wir bei den Ergebnissen sehr nahe dran sind an den realen Zuständen. Zudem sind qualitative Studien in der Soziologie methodisch anerkannt.

SPIEGEL ONLINE: Viele von ihnen haben erstaunlich offen gesprochen.

Wehkamp: Während der Gespräche, die meistens viel länger dauerten als geplant, merkten wir immer wieder, dass das Thema die Ärzte beschäftigt und frustriert. Als die Ergebnisse im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurden, habe ich eine Flut von E-Mails von Ärzten erhalten, die ihre teilweise erheblichen Probleme mit dem Wirtschaftlichkeitsdruck schilderten.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie ein Beispiel?

Wehkamp: Ein fast unglaublicher Fall, den wir allerdings nicht überprüfen können: In einem Haus würden ältere Patienten ab und zu „trockengelegt“. Damit meint man, dass sie etwas weniger Flüssigkeit bekommen, wodurch sich die Laborwerte verschlechtern, was wiederum eine höhere Vergütung für die Betreuung zur Folge hat. Eine Ärztin berichtet, die geringe Vergütung für Patienten in der Notaufnahme führe dazu, dass man jetzt von „Vier-Euro-achtzig-Patienten“ rede, die dem Haus nur Verluste brächten.

SPIEGEL ONLINE: Ist der wirtschaftliche Druck in privaten Krankenhäusern höher als in Kliniken von öffentlichen Trägern?

Wehkamp: Unserer Studie zufolge nicht. In einigen privaten Häusern ist die Situation sogar noch eine Spur entspannter als bei den Kliniken mit staatlichen Trägern mit ihren klammen Kassen. Dass hier der Druck so groß ist, ist besonders widersinnig: Als Gesetzgeber fordert der Staat eine ausschließlich medizinische Priorität – setzt aber den Kaufmann in die Letztverantwortung für das Krankenhaus. Und als Träger kommt er seiner eigenen gesetzlichen Verpflichtung zur Finanzierung der notwendigen Investitionskosten nicht genügend nach.

SPIEGEL ONLINE: Was kann man als Patient tun, um nicht Opfer wirtschaftlicher Interessen zu werden?

Wehkamp: Es ist immer gut, sich eine zweite Meinung einzuholen und mit den Ärzten zu sprechen. Ich finde die Frage hilfreich, ob ein Arzt den Eingriff auch seinem eigenen Vater empfehlen würde. Andererseits sollte man auch nicht zu viel Misstrauen an den Tag legen. Unterm Strich ist das deutsche Gesundheitssystem immer noch eines der besten der Welt. Wenn ich im Ausland wäre und die Möglichkeit hätte, mich in ein deutsches Krankenhaus verlegen zu lassen, würde ich das immer machen.

Das Interview zwischen Herrn Wehkamp und Herrn Heinrich zum diesem Thema Geldmaschine finden Sie im Spiegel Online: http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/kostendruck-in-kliniken-gefaehrdung-der-patienten-wird-in-kauf-genommen-a-1184057.html

Information aus dem schweizerischen Gesundheitssystem – 09.03.2016


Information aus dem schweizerischen Gesundheitssystem vom 8. März 2016, gesammelt und zusammengewürfelt.

Information aus dem schweizerischen Gesundheitssystem – 09. März 2016

Schweizer Spitäler bauen für 15 Milliarden Franken

Information: Viele Gebäude sind baufällig oder genügen den heutigen Ansprüchen nicht mehr. Auch der Wettbewerb um Patienten bestärkt die Bautätigkeit. Auf 2,8 Milliarden Franken ist der Bau einer zweiten Röhre für den Gotthard-Strassentunnel inklusive Sanierung der alten veranschlagt. 18,2 Milliarden Franken wird die Neat gekostet haben, wenn sie 2019 mit dem Ceneri-Basistunnel fertiggestellt ist, dies als Vergleichs-Information.

Deutlich über dem Preis der zweiten Röhre, aber noch unter jenem der Neat bewegen sich die Kosten, die durch die Erneuerung der Schweizer Spitalinfrastruktur in den nächsten Jahren verursacht werden: 13,9 Milliarden Franken sind nach einer Erhebung des Branchenportals Medinside derzeit für Spitalbauten verplant. Zusammen mit noch nicht budgetierten Kosten ergeben sind nach der Schätzung von Medinside Baukosten von rund 15 Milliarden Franken für die nächsten 15 Jahre. (Quelle der Bund)

 

Die Entwicklung eines Sets von aufwandrelevanten Pflege­indikatoren für die Schweizer Pflegepraxis

Information: Es ist bekannt, dass das SwissDRG-Tarifsystem den Pflegeaufwand nicht ausreichend berücksichtigt, weil seine Grouperkriterien die Variabilität des Pflegeaufwands innerhalb der DRG-Fallgruppen zu wenig erklären. Um eine angemessene Vergütung und Ressourcen-Allokation zu erreichen, muss der Pflegeaufwand eindeutig quantifiziert und abgebildet werden können. Ziel des vorliegenden Projekts war, ein Set aufwandrelevanter Pflegeindikatoren zu erarbeiten, von denen angenommen werden kann, dass sie in Ergänzung zu den bisherigen SwissDRG-Kriterien die Varianz des Pflegeaufwands innerhalb einzelner Fallgruppen reduzieren.

Methode: Das Vorgehen umfasste verschiedene Methoden. Eine systematische Literaturrecherche, Beiträge eines Fachbeirates und Expertengremiums sowie drei Fokusgruppeninterviews mit Pflegefachpersonen und Abteilungsleitenden bildeten die Grundlage für die anschließende Synthese der aus diesen Quellen gewonnen Daten und Informationen.

Ergebnisse: Ein Set von 14 aufwandrelevanten Pflegeindikatoren wurde entwickelt. Von diesen wird angenommen, dass sie die Homogenität des Pflegeaufwands in den SwissDRG-Fallgruppen verbessern können. Bevor diese Pflegeindikatoren als Grouperkriterium eingesetzt werden können, müssen sie in einer SwissDRG-konformen Weise formalisiert und empirisch geprüft werden.

Schlussfolgerung: Das vorliegende Indikatorenset ist ein erster Schritt in die Richtung einer angemessenen Abbildung des Pflegeaufwands in SwissDRG-Fallgruppen. Als nächstes muss die Herausforderung bewältigt werden, dieses in eine kodierbare Form zu operationalisieren. http://econtent.hogrefe.com/doi/abs/10.1024/1012-5302/a000464

50-Millionen-Neubau für das See-Spital

Das See-Spital Horgen will die Probleme der Vergangenheit hinter sich lassen und rüstet sich für die Zukunft. In Horgen wird der Altbau mit einem ­50-Millionen-Neubau ersetzt.

Das See-Spital hat in den letzten Monaten für Negativschlag­zei­len gesorgt: überhöhte Abrechnungen in der Schmerzklinik, Entlassung des Schmerzarztes und in der Folge der überraschende Rücktritt des Stiftungsratspräsidenten Walter Bosshard sowie Auseinandersetzungen mit den Belegärzten. Doch nun will das See-Spital mit den beiden Stand­orten in Hor­gen und Kilch­berg ein neues Kapitel aufschlagen. Unter dem Motto «Strategieprojekt See-Spital 2022» ergreift der Stiftungsrat Massnahmen. Die grösste Veränderung betrifft den Stand­ort Hor­gen. Dort wird der Altbau ersetzt, wie der Stiftungsrat beschlossen hat. «Wir sind sehr glücklich dar­über», sagt Lorenzo Marazzotta, Interimspräsident des Stiftungsrates. Mit dem Neubau wolle man die Abläufe optimieren.

Der Altbau stammt aus den 50er-Jahren und wurde im Zusammenhang mit der im Jahr 2005 abgeschlossenen Erweiterung erneuert. Der Altbau entspricht aber nicht mehr den ­heutigen Bedürfnissen. Der Stiftungsrat rechnet mit Investitionen von 50 Millionen Franken, für die das See-Spital selber aufkommen muss. «Wir haben ­keine Gemeinden im Rücken, die uns mitfinanzieren», gibt Marazzotta zu bedenken.

http://www.zsz.ch/horgen/50MillionenNeubau-fuer-das-SeeSpital-/story/21474126